NS-Staat: Rechtfertigungen des Unrechts


Buch

Einen guten Überblick zu wenigstens einigen Schriften der NS-Zeit findet man in dem Buch: "Rechtfertigungen des Unrechts: Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten". In dem Band wurden verschiedene Nazikonfabulationen zusammengestellt und man kommentierte die Originaltexte, welche einen Einblick in das Denken von Rechtstheoretikern geben, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. Auch belegen sie deren Versuch, autoritäre und dem Rechtsstaat widersprechende Rechtsprinzipien zu legitimieren. Unter anderem nutzte man Bestandteile des "Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung" von 1935. Zudem blickt man in Publikationen wie "Der totale Staat" (1933), dann in das "Deutsche Verfassungsrecht" (1938) oder auch ins "Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" (1939). Weiter unten finden Sie nähere Details zu dieser Publikation und eine Bezugsquelle. Es ist natürlich für die historische Forschung auch immer interessant zu sehen, was sonst noch so in den alten Originalpublikationen an Inhalten zu finden ist.

Der Kürze wegen sollen hier im virtuellen Rahmen nur ergänzend einige "Dinge" aus dem Heft "Das Reich im Nationalsozialistischen Weltbild" angemerkt werden, das in der sechsten Auflage 1943 im Verlag W. Kohlhammer Leipzig erschien. Herausgeber war C. Schaeffer, ein ehemaliger Oberlandesgerichtsrat und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Auffindbar sind weitere Veröffentlichungen auch über die Schlagworte "Deutsche Verfassungsgeschichte vom Germanischen Volksstaat bis zum Großdeutschen Reich". Gleich zu Beginn heißt es in der hier angeführten Publikation von 1943, dass der Diktator Adolf Hitler als NSDAP-Sektenguru dem Deutschen Reich einen "neuen Inhalt" sowie eine "neue Gestalt" gegeben hätte. Der Jurist glaubte zu wissen, dass "der Führer" das von der "völkischen nationalsozialistischen Idee getragene Reich geschaffen" hätte und diesem somit auch eine "Aufgabe von überragender Größe" zuwies. Doch damit man "die Bedeutung dieser Tat voll erkennen" könne, so meinte der Herr Jurist, müsse "man sich zunächst die Entwicklung des deutschen Staatsgedankens, insbesondere die wechselnde Auffassung von dem Verhältnis des Volkes zum Staat, vergegenwärtigen".

Für die Übung setzte man dann mit der "germanischen Auffassung" von Volk und Staat an. Demnach würde das deutsche Volk, welches erstmalig im alten Deutschen Reich als staatliche Einheit hervorgetreten sei, aus den verschiedenen "germanischen Volksstämmen" herausgewachsen sein. In den Mittelpunkt dieser fabulierten "germanischen Welt" stünde nicht der Staat, sondern das Volk hätte irgendetwas zu melden gehabt. Ein wesentliches Merkmal der germanischen Auffassung sei das Schicksal, die Art und Abkunft des Menschen. Diese bestimmte in der Gesamtheit des Volkes vorhandene Gemeinschaftsstellung führe angeblich auch zum engen Zusammenschluss von Familie und Sippe. Außerdem genösse die Frau in dieser Struktur große Ehre. Man bezeichnete in dem Heft "das Volk" immer wieder als eine Art eigenständig lebendes Wesen, die jeweiligen Einzelpersonen mit unterschiedlichen Begabungen, psychologischen Merkmalen und so weiter würden so gesehen nur jeweils ein kleiner Teil des großen Ganzen sein, woraus dann das nicht greifbare Volk zumindest in Wortform entstünde. Angedichtet hatte man dem Volke der Germanen auch, dass dieses einen "besonderen Gott" kenne, was das Recht betrifft, er nenne sich "Forseti". Herumfummeln würde dieses Wesen auf Helgoland, wo auch sein Sitz sei, nämlich im "heiligen Land".

Besondere Merkmale der Richter seien auch die abhebende Kleiderordnung, was Gruppenzugehörigkeit symbolisiert. Diese optische Kontrastschärfung ist bekanntlich noch heute sehr gut sichtbar. Und laut "Das Reich im Nationalsozialistischen Weltbild" hieß es zu den Germanen, dass gerichtliche und religiöse Handlungen oft am gleichen Ort vorgenommen werden - "Recht und Sitte sind dementsprechend eins". Prägend wäre ein, wohl herbeigeträumtes, "Gefühl für Ganzheit", was dazu diene, "ein Zerpflücken des Rechts in kleine und kleinste Bestandteile" zu verhindern. Zumindest stünde oder hätte bei den Germanen im Mittelpunkt des "Rechtsdenkens" aber gestanden, dass hier "niemals die abstrakte Rechtsperson" auftaucht. Demzufolge sollte es nicht verwundern, dass eine "Hervorkehrung ethischer Begriffe, die der Wesensart der nordischen Rasse" entsprächen, "auch das Recht" kennzeichne. "Ehre und Treue sind nicht nur Grundsatz, sondern auch Rechtsnorm", wie es hieß. In einem nachfolgenden Punkt wird dazu passenderweise dargestellt: "Das Strafrecht verlangt nicht nur Befriedigung, sondern auch biologische Ausmerzung erblich Untauglicher".

Im Punkt B der Abhandlungen blickte man auf den "römischen Staatsbegriff" - den sich andere Verrückte einige Jahrhunderte zuvor ausdachten. Hervorgehoben hatte man hier: "Das Staats- und Rechtsdenken der Römer, deren Weltreich im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung den Gipfel seiner Macht erreichte ... hat die Entwicklung des alten Deutschen Reiches und des deutschen Rechts entscheidend beeinflusst". Denn im Vordergrund des römischen Denkens stünde dem Autor zufolge von vornherein "der Staat; von ihm und nicht vom Volke leitet sich alle Macht her". Ausgangspunkt des Rechts ist nicht die Anschauung des Volkes, sondern der Wille des Staates, der das Recht "setzt". Das frührömische "Recht" stimmte als Recht eines "rassereinen Volkes zunächst mit der Lebensanschauung des Volkes überein", wie es heißt. "Der vom Volke geschaffene Staat gibt Gesetze, die auch dem Willen des Volkes entsprechen ... Da jedoch der Staat nicht als Mittel zum Zweck aufgefasst wird, sondern als lebendige Verkörperung des Volkes und daher aus sich selbst heraus Recht schöpfen kann, versteht man unter Recht nur die Ordnung, die der Staat schafft; eine besondere Gottheit des Rechts ist in Rom unbekannt".

Und schon damals im alten Rom hätte sich gezeigt, durch die "Zusammenfassung der verschiedenen Völker" zu einem neuen großen Volk, dass der Zusammenhang zwischen der "Anschauung des Volkes und dem vom Staate gesetzten Recht verloren" ging. "Das Recht, d.h. die vom Staate eingeführte Lebens- und Wirtschaftsordnung, und die Sitte, d.h. die natürliche Lebensordnung des Volkes, werden verschiedene, voneinander getrennte Begriffe ... Das Recht wird, weil es nicht mehr aus dem Volksleben schöpft, rational und wirtschaftlich bedingt. Es dient nur noch einem wirtschaftlichen Zweck und berücksichtigt keine ethischen Werte mehr ... Die Rechtsanwendung wird ihrem Wesen nach [eine] juristische Konstruktion. Es kommt auf die elegante Formel, nicht auf das Gerechtigkeitsgefühl an". Dazu merkte man in "Das Reich im Nationalsozialistischen Weltbild" an, dass es im Vergleich zu den dortigen Zuständen unter Hitler nur in der frühen römischen Geschichte so gewesen sei, dass der Begriff der Rasse eine Bedeutung gehabt hätte. Im zweiten Punkt der entsprechenden Abhandlungen heißt es: "Die Masse vermischt sich rassisch sehr schnell. Das Bestreben des römischen Kaiserreiches geht nur noch dahin, eine regierungsfähige Oberschicht zu erhalten".

Im weiteren Verlauf geht man dann unter anderem auch noch auf den "Staatsbegriff des alten Deutschen Reiches" ein. Mit diesem war das von Heinrich I. gemeint, man gelangte unter diesem zur "universalen Staatsidee, die das Reich als die ordnende Macht im Abendland" aufgefasst hätte. Zumindest sei man somit "zu Macht und Größe" gelangt. Danach verfiel die Reichsgewalt aber wieder und nach "dem Ende der Staufer (1250) und ... nach dem Westfälischen Frieden (1648) [sank die Reichsgewalt] zur Bedeutungslosigkeit herab. Der Reichsbegriff findet, wie schon der im Spätmittelalter aufkommende Name Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation zeigt, seine Grundlage immer mehr im römischen Recht und in der christlichen Lehre katholischer Prägung". Auch hier konnte demnach beobachtet werden, dass dem angeblich ständig vertretenen Volksrecht ein "staatlich gesetztes Recht gegenüber" trat. "Die religiöse Auffassung vom Recht, die eine staatliche Rechtsetzung ausschließt, erhält sich auch nach der Christianisierung noch eine Zeitlang".

Später drangen aber durch den Klerus, der nach römischem Recht lebte, "römischer Geist und römisches Universaldenken immer mehr in die deutsche Gemeinschaftsordnung" ein. Im zweiten Punkt des "konstruktiven Geistes des römischen Rechts", welches blende und daher leichter Eingang fände, heißt es im Punkt B der benannten Publikation, dass der "Staat, den man als eine vom Volksleben losgelöste (abstrakte) Rechtspersönlichkeit auffasst; über dem Gesetz [steht]". Eine zweckbestimmte Ordnung beherrsche immer mehr das politische Leben, demnach ließe diese "den völkischen Ursprung des Rechts hinter einem rationalistischen Denken" zurücktreten. Im zweiten Punkt ging man dann noch weiter auf das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" ein, welches seiner Idee nach kein Nationalstaat, sondern ein Universalreich gewesen war. Mit Blick auf die Zeiten unter Hitler verwendete man immer wieder die Begrifflichkeit "Völkisch". So auch hier (1943, Publ.): "Die territorialen Grenzen [des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation] stimmten nicht mit den völkischen Grenzen überein. So umfasste das Reich große Teile von Frankreich, während außerhalb des Reiches, z.B. in Westungarn und im deutschen Osten, zahlreiche Deutsche wohnten".

Das eingangs zum Thema angeführte Buch: "Rechtfertigungen des Unrechts: Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten" der Herausgeber Herlinde Pauer-Studer und Julian Fink aus dem Suhrkamp Verlag mit über 563 Seiten zeigt zudem einen von der rechts- und moralphilosophischen Forschung weitgehend unbeachteten Aspekt des NS-Unrechtssystems: der Versuch einer "Ethnisierung" des Rechts und die damit verbundene Totalisierung des machtstaatlichen Einflusses. Es kann in der Originalausgabe von 2014 unter der ISBN 978-3518296431 oder direkt über das Internet unter der folgenden Quelle bezogen werden:

Hier: Rechtfertigungen des Unrechts

 

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