Buch über: Die Mitleidsindustrie


Buch

Zeitgenossen, die sich mit Psychologie auskennen, auch wenn sie diese nur anhand der typischen Auswendiglernerei verinnerlicht glauben, haben aber dennoch nicht selten gegenüber anderen vielbeschäftigten Leuten den Vorteil, dass sie zumindest deren Komplexe besser verstehen können, entsprechend aber unter Ausklammerung der eigenen. Ein Punkt an dem hier angesetzt werden könnte, nennt sich "Mitleid". Und auch das hier nun vorgestellte Buch wirft einen an vielen Stellen durchaus "interessanten Blick" auf das, was der Publikationstitel eigentlich schon verraten müsste: "Die Mitleidsindustrie". Hier spielt die psychologische Reaktionskenntnis eine wichtige Rolle, auch wenn es in den Darstellungen eher um Prozesse und damit verbundene Phänomene geht, als nun um diverse Einzelpersonen. Unter anderem die sogenannte "Katastrophenhilfe" würde nach Stand der Veröffentlichung immer wieder als eine Art Waffe gebraucht. Korrupte Strukturen finanzierten damit z.B. wilde Milizhorden in afrikanischen Gefilden. Für Hilfsgüter frei erfundene Steuern auf Reis, Zelte und Medikamente rundeten die Sache dabei noch ab.

Wo wucherartige Korruption anzutreffen ist, hohe Geldsummen stets in dunkle Kanäle versickern, der ein oder andere illustre u.a. von den Hilfslieferungen profitierende Kamerad sich in Ländern des Westens mit Luxusvillen eindeckt, da scheint es nicht mehr groß verwunderlich, dass auch der Waffenhandel blüht, wie sonst der Mohn in Afghanistan. "Einen Teil der Hilfsgüter verbrauchen [die involvierten Strukturen] selbst, den Rest verkaufen sie". Vom Ertrag beschaffen sie dann auch Waffen, "mit denen sie noch mehr Menschen in die Flüchtlingslager oder sogar in den Tod treiben". Um Hilfe durch "Hilfsorganisationen" zu leisten, braucht es natürlich auch Gründe für die Hilfe, die jeweils aus den Boden sprießenden Konflikte in verschiedenen Ländern sind dazu bestens geeignet. Im Buch beschreibt man dann passenderweise auch, dass rund um die "humanitäre Hilfe [eine] wahre Industrie entstanden sei". Hier gehe es zusammengenommen nicht mehr nur um Hunderte von Millionen Dollar, sondern um "griffige Zahlen" im Milliardenbereich.

Im Kampf um diese aus unterschiedlichen Zweigen zusammengesammelten Gelder, wie durch Spendenaktionen in Betrieben, Kirchen, durch Vereine oder Haussammlungen, neben anderen "Hilfsgeldern", die man durch staatliche Programme über die Steuergelder springen lässt, entstand so demnach wohl auch ein teils schwer durchschaubares gegeneinander konkurrierendes "Hilfsgeflecht". Es seien mittlerweile "Karawanen von Organisationen, die mit den Geldströmen reisen und in immer wieder neuen humanitären Räumen miteinander um einen möglichst großen Teil der Milliarden konkurrieren". Über die Aktionen in Goma heißt es, dass sich die Hutu (stellen in Ruanda und Burundi die Bevölkerungsmehrheit) möglicherweise in ihren kriegerischen Handlungen "totgelaufen" hätten, wenn keine humanitäre Hilfe zugeflossen wäre. Nach den teils sehr brutalen Abschlachtorgien wurde die hintergelagerte Rolle der "Hilfsindustrie" in diesem Kampf nicht näher beleuchtet, geschweige denn, dass irgendwelche nennenswerten Dinge zu sehen gewesen sind, um "die Hilfsindustrie für ihre Rolle in diesem Kampf zur Verantwortung" zu ziehen.

Die Verantwortung u.a. für dieses Desaster läge bei der Politik, sei die "internationale humanitäre Gemeinschaft" überzeugt gewesen. Zeit für tiefere Betrachtungen der eigenen Rolle hatte man wohl auch nicht gehabt, denn in dem Buch wird dargestellt, wonach man eher "im Banne des Vertragsfiebers" gewesen sei. Innerhalb dieses Fiebers stellten sich die zitierten Fragen: "Wie viele Verträge haben wir? Wie bekommen wir mehr? Wann laufen sie ab? Wie verlängern wir sie? Liegen Konkurrenten auf der Lauer?". Im Verlauf zu dieser Sache berichtet man dann auch über vor Ort konkurrierende Organisationen, die einigen Anführern bzw. militärischen Personen offenbar den Hof machen wollten, da es im Lager X mehr Annehmlichkeiten gäbe, als im anderen. Auch solche Beispiele sollten entsprechend verdeutlichen: "Es gibt einen Markt für Wohltätigkeit. Es ist big business. Nennen Sie es die moralische Ökonomie, wenn Sie wollen". Im Rahmen der konkurrierenden Auswüchse bei den zumindest dem Worte nach als Hilfsorganisationen bezeichneten Strukturen ist es schlicht geboten, mit der Karawane zu ziehen.

"Hilfsorganisationen, die nicht zu jeder neuen großen humanitären Katastrophe eilen, verlieren Geberfonds und werden links und rechts überholt von konkurrierenden Organisationen". Dass man sich hier wohl auch immer mehr darauf zu konzentrieren schien, die jeweils übertrumpfende Geschäftstaktik zur Erlangung von Mitteln auszuarbeiten, zumindest bei einigen dieser Organisationen, und das Hilfsgesülze in der jeweiligen Agenda nur noch hübsches Beiwerk war, sollte also keine allzu große Überraschung sein. Und nicht zu vergessen sei innerhalb dieses Spiels dann auch: "Je höher die Einnahmen in einem Krisengebiet sind, desto besser können sich die INGOs auf die nächste Katastrophe vorbereiten". Offenbar hegt man hier dann eine innere Vision darüber, dass es auch ganz bestimmt zu einer "nächsten Katastrophe" kommen wird.

Das Buch "Die Mitleidsindustrie: Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen", in dem natürlich noch zahlreiche andere Dinge angesprochen werden, liegt in der Version aus dem Campus Verlag von 2010 vor. Mittlerweile gibt es wohl auch eine 1. Auflage aus dem Verlag Herder mit über 270 Seiten, aus dem Jahr 2012. Es behandelt "ein altes Dilemma": Humanitäre Helfer in Kriegs und Katastrophengebieten möchten menschliches Leid lindern; unparteiisch und neutral, ungeachtet der Person oder der Umstände vor Ort. Doch kann Nothilfe in einem Kriegsgebiet überhaupt neutral sein oder verlängert sie automatisch den Konflikt und damit die Gewalt? Die Publikation der Autorin Linda Polman, eine in den Niederlanden bekannte Journalistin und Autorin, kann in deutscher Sprache unter der ISBN: 978-3451064340 oder direkt über das Internet unter der folgenden Quelle bezogen werden:

Hier: Die Mitleidsindustrie (Herder 2012)

 

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