Westliche Gesellschaften bersten vor Narzissten


(C) Thomas Hawk, 2010, Bild: flickr (CC BY-NC 2.0)

Im österreichischen derStandard ging man nun darauf ein, wonach in den vergangenen Jahren in den großen Industrieländern der Welt eine recht starke Zunahme psychologischer Störungen bei Individuen ausgemacht werden konnte. Die sog. emotionalen Störungen seien dramatisch angestiegen und allgemein war zu beobachten, dass diese speziell Angststörungen und Depressionen mit einschlossen. Gefördert werden narzisstisch negativ klassifizierte Merkmale offenbar auch durch sich stetig selbst übertreibende kulturelle Einflüsse, wie in Popsongs etwa. Eine Person wird angeführt, dass der folgende Anspruch stärker in den Vordergrund gerückt sei, wonach sich zuletzt wohl mehr betroffene Individuen über einen eingebildeten und nach außen getragenen Status und Geld zu definieren versuchten und weniger über Beziehungen. Die Pharmaindustrie ins Blickfeld genommen merkte man an, dass zwar eine Zunahme des Konsums von Psychopharmaka festgestellt worden sei, doch es schiene so, als ob derartige "Wundermittel" auch zu mehr Problemen führten (mehr).

Nicht nur in westlichen Gesellschaften war die Problematik verstärkt hervorgetreten. Ein angeblicher Psychiater des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (oder kurz: CIA) gab laut schweizerischem Medium "Blick" zu verstehen, mit eben solchem "Blick" auf Russland: Putin ist ein extremer Narzisst. Angemerkt werden könnte an dieser Stelle mit US-Bezug das folgende Buch vom Autor Tim Weiner: "CIA - Die ganze Geschichte" (hier), in welchem deutlich wird, dass die meisten Aktionen der CIA nicht nur getrieben wurden durch narzisstische Auswüchse, sondern zudem oft gekennzeichnet waren von einem übersteigerten Maß an Selbstüberschätzung, gepaart mit Psychopathie. Weiner zeigt in seiner Publikation: mit welcher Inkompetenz und Naivität der mächtigste Geheimdienst der Welt operiert. Der mittlerweile selbst in die Jahre gekommene CIA-Psychiater Jerrold Post meinte bezgl. Putin u.a. auch: Dieser sei blitzgescheit. Er wisse genau, was er tut (mehr). Gegenüber der Springer-Publikation "BILD", welche oft mit Narzissmus fördernden Meldungen auffällt, hätte ein angeblicher FBI-Agent kürzlich gemeint: "Wir sind von gefährlichen Persönlichkeiten umgeben" (hier).

Die oft auch irrationalen Aktionen des FBI oder der CIA aus der Vergangenheit wollen wir an dieser Stelle nicht vollumfänglich anführen, da dies deutlich den Rahmen sprengen würde. Um bezogen auf das FBI ein älteres Beispiel anzumerken, welches die Paranoia des Dienstes selbst vor der eigenen Regierung zeigt, kann folgender Artikel gelesen werden: FBI legte über Jahre Geheimraum an (hier). Das FBI in den USA war u.a. auch durch COINTELPRO aufgefallen. Ein Programm zur systematischen Überwachung, Unterwanderung und Störung von politischen Organisationen und politisch aktiven Privatpersonen innerhalb der USA (hier). Bei der CIA war vor geraumer Zeit deren nun ehemaliger Chef David Petraeus aufgeflogen, wegen einer nebulösen Affäre mit einer anderen Frau (hier). Die CIA hatte in der Vergangenheit mit gruseligen Menschenversuchen an vorangehende Experimente der Nazis angeknüpft. Bekannt wurde z.B. MKULTRA - ein Programm zur Erforschung über Möglichkeiten der Bewusstseinskontrolle bei Menschen (hier). Weitere Irritationen schlugen mit den sog. "Black Sites" ein - also geheime Gefängnisse die außerhalb der USA betrieben werden; wurden und offiziell nicht existieren - entsprechend gut konnte man auch Menschen foltern (hier). Ob die einschlägigen FBI- oder CIA-Psychiater als Berater für diese Unterfangen mit zur Seite standen, kann spekuliert werden.

Nach Darstellungen diverser Soziologen hätte die Psyche des Menschen im Verlauf der "Geschichte" bereits verschiedene narzisstische Kränkungen hinnehmen müssen. Eine davon sei z.B. durch Nikolaus Kopernikus gegeben worden, der erklärte, dass die Erde als Heimat der Menschen nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Die zweite Kränkung werde Charles Darwin zugeschrieben, der einst meinte, dass der Mensch keineswegs eine einmalige Spezies sei, sondern sie hätte sich aus Vorfahren entwickelt. Eine andere Kränkung habe schließlich auch Sigmund Freud vollzogen, als dieser behauptete, dass der Mensch nicht einmal über eine bewusste Kontrolle seiner Gedanken, Impulse und Entscheidungen verfügt, sondern er werde durch unbewusste Kräfte beeinflusst und vielleicht sogar von ihnen gesteuert.

Bis heute hin hatten Experten der Materie geraten, dass wenn experimentalwissenschaftliche Erkenntnisse als narzisstische Kränkungen empfunden werden könnten oder sogar zu Kulturkämpfen führen, dann seien Inhalte der entsprechenden Kulturen schlicht falsch und sollten "korrigiert" werden. Individuen, die sich ihrer selbst bewusst werden wollen, müssen zunächst aber mehrere narzisstische Kränkungen verarbeiten. Da die meisten Menschen psychologisch gesehen zum: "Bequemeren" tendieren, wird diese Selbstreflexion doch wahrscheinlich nicht angenommen werden und jene verharren weiter in der selbstkonstruierten narzisstischen Ebene. Oft spielt mit hinein, dass das Gehirn von Menschen die Illusion vorspielen kann, man würde bewusst und unabhängig denken, reden und handeln können - man hätte also eine absolute Entscheidungs- und Willensfreiheit.

Beförderte narzisstische Mainstream-Themen z.B. in den 1960er Jahren waren durch einen Kampf gegen Militarismus, Sexismus und Rassismus gekennzeichnet - angetrieben von einer politischen und gemeinschaftlichen Aktion. Später sprach Christopher Lasch über die 1970er Jahre von narzisstischen Überlebensstrategien, welche speziell durch Angst, Depression und dem Gefühl innerer Leere hervorgerufen wurden. Bei den Sowjets arbeitete man schon in den 1950er Jahren Konzepte aus, wie man gegnerische Gesellschaften von innen heraus zerstören könnte, durch Einwirkungen über Medien, Kunst und andere "Dinge". Die kulturell in Systeme eingebauten Sollbruchstellen in einer gegnerisch klassifizierten Gesellschaft sollten eine Zerstörung des Systems von innen heraus verursachen, denn dieses fuße ja nicht auf der Loyalität der meisten Menschen. Später beschäftigte sich u.a. auch die CIA mit solchen Konzepten intensiv.

Der Narzissmus wird oft zu einer Inszenierung, denn viele Menschen beurteilen andere auf der Grundlage der eigenen Fähigkeit, selbstwahrgenommen gute Vollstrecker der sozialen Rollen zu sein. Vor Jahren hatten z.B. Mumford, Connelly, Helton, Strange und Osburn ein spezielles Modell entwickelt gehabt, welches das Ergebnis einer Person in Integrity-Tests aufgrund von sieben Persönlichkeitsskalen vorhersagte: Narzissmus, Angst, negative Lebenssituation, Machtmotive, unsicherer Verlauf und Ausgang, Selbstregulation und Versachlichung. Daneben machte u.a. auch Mumford weitere sieben situative Faktoren für das Auftreten von kontraproduktivem Verhalten und somit auch entsprechenden Werten in Integrity-Tests verantwortlich: Entfremdung, keine familiäre Unterstützung, negative Rollenmodelle, diverse Lebens-Stressoren, Wettbewerbsdruck, schlechter Einfluss Gleichaltriger, finanzielle Nöte.

In einer Art von naivem Narzissmus glauben Individuen, alles Entdeckenswerte selbst entdecken zu können. Im Grunde besteht ihr selbstgeprägtes Ideal oft darin, wieder kleine Kinder zu werden, und z.B. Autoren wie Herbert Marcuse steuerten in der Vergangenheit die willkommene Ideologie bei: Die Rückkehr zur Kindheit - nicht Entwicklung zur Reife - sei das Endziel des Sozialismus und der Revolution. Befleckte Individuen jener Gattung waren i.d.R. glücklich, solange sie jung waren und ihre Euphorie anhielt - doch viele sind aus dieser Periode mit einem Gefühl tiefer Enttäuschung hervorgegangen und einige dieser sogar in der heutigen Politik zu finden. Dies aber ohne zu fundierten Überzeugungen gelangt zu sein und ein Zentrum in sich selbst gefunden zu haben. Sie enden schließlich als verbitterte, apathische Menschen - oder als unglückliche Fanatiker der Zerstörung.

Oft zeichnet entsprechende Personen aus, dass sie nicht dazu in der Lage sind, den eigenen Narzissmus zu überwinden und die tragische Begrenztheit der menschlichen Existenz zu akzeptieren. Als Ursachen von z.B. delinquenten Verhaltens wurden durch Experten u.a. Erziehungsmängel, emotionale Verwahrlosung, kindliche Verhaltensstörungen, die dissoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung, fremd- und selbstgerichtete Aggressivität und Sadismus, ferner eine depressiv masochistische und Borderline-Persönlichkeitsstruktur, emotionale Instabilität sowie Neigung zu paranoider Erlebnisverarbeitung angeführt.

Ins Psychopathische abdriftende Personen erleben ihr größtes Glück im narzisstischen Höhenrausch oft damit, ein Gefühl zu entwickeln, das durch die Einzigartigkeit und Grenzenlosigkeit selbstwahrgenommen wird. Bei malignen Narzissmus wurden zu antisozialen Verhaltensweisen die Formen des aggressiv sadistischen und des passiv-ausbeutenden (parasitären) festgestellt. Während bei den Passiv-Parasitären Lügen, Stehlen, Einbrechen, Fälschungen, Betrug und Prostitution dominieren, sind für den Aggressiven Gewalttätigkeiten wie Raubüberfälle, Körperverletzungen, Sadismus und Mord, aber auch paranoide Tendenzen charakteristisch.

Erfolgsmotivierte Personen setzen sich hingegen oft realistischeren Zielen, Positivitätsfehlern im Rahmen des "gesunden Narzissmus" (etwas anderes als pathologischer Narzissmus) aus - bei diesen wird Erfolg internal, Misserfolg external attribuiert. Durch spaltende Einwirkungen können jedoch auch hier widersprüchliche Impulse abwechselnd ausgelebt werden, etwa durch eine Schwarz-Weiß-Wahrnehmung der Umwelt (Stichwort Borderlinie-Persönlichkeitsstörung). Angemerkt werden kann an dieser Stelle aber auch, dass gewisse narzisstische Komponenten Grundbestandteile "gesunden" menschlichen Erlebens und Verhaltens sind. Narzissmus ist so gesehen auch kein pathologischer Persönlichkeitszug, sondern findet sich vielmehr bei so gut wie allen Menschen in allen Kulturen wieder.

Mit Blick auf den pseudoabhängigen Narzissmus-Typ verleugnet dieser oft seine Bedürftigkeit nach Zuwendung - meist erkennbar an Merkmalen wie Grandiosität, Gedrängtheit, Distanz und Empathiemangel. Solche Geister sind schnell beleidigt und gehen auf Distanz, suchen sich insgeheim z.B. in Filmen aber Superstars und Helden als Vorbilder, deren inszenierten Ruhm sie in ihrer Realität möglichst selbst erfahren wollen. Zu heute bedenklichen Tendenzen der spätmodernen Kulturentwicklung gehören u.a. die umfängliche Digitalisierung zahlreicher Lebensbereiche und die damit verbundene Beschleunigung des Lebenstempos sowie die bis zum Narzissmus gesteigerte Individualisierung.

Sich als aktiv bezeichnende Individuen sind in diesem Rahmen prädisponiert zur Arbeitssucht, Sport-, Spiel- und Internetsucht. Manche greifen auch zu leistungssteigernden Drogen oder werden leicht Opfer eines Gesundheits-, Schlankheits- und Selbstoptimierungswahns. Die als nicht aktiv zu bezeichnenden passiven Geister erliegen auch der Alkoholsucht und das Internet ist für jene ein attraktiver Zufluchtsort und eine Möglichkeit die illusionäre Ich-Aufwertung zu vollziehen. Die obsessiv-zwanghaften Charaktere neigen in der Arbeitswelt dazu, wie ein; eine Irr(e)r zu arbeiten, was meist in einer Arbeitssucht mündet. Jene Workaholics neigen ebenfalls dazu, auch noch von Kollegen die Arbeit mit zu erledigen, um von diesen ein "Danke" zur Ich-Selbstaufwertung zu bekommen.

Bei zahlreichen psychoanalytischen Autoren spielen Allmachtsfiktionen und Omnipotenzwünsche als Gegenstand narzisstischer Veranlagungen eine wichtige Rolle. Die Omnipotenz wird bekanntlich als eine künstliche Illusion davon gesehen, Macht und Kontrolle zu erlangen und diese auszuleben. Experten beschrieben diesen Umstand aber als Abwehrmechanismus, der eigentlich vorhandener Hilflosigkeit entgegengestellt wird. Bei stark narzisstisch veranlagten Persönlichkeiten ist zu sehen, dass diese teils mit intensiv wirkenden Widerständen dahingehend auftreten können, wenn sie sich mit anderen Menschen vergleichen sollen - da sich jene Geister selbst als etwas: "Besonderes" sehen.

Die vom übersteigerten Narzissmus deformierten Psychen werden je nach Beschreibung der Ausprägung auch als "entleert" dargestellt, denn sie ließen sich keine gesunde Erfüllung erfahren. Es bleibe vielmehr die endlose Vorlust, die aber möglichst niemals zum Ziel kommen darf. Das lebendige Begehren stirbt ab und erstarrt zur mechanischen Sucht. Die ehemals im Kleinbürgertum kollektivierte Selbstzerstörung durch den übersteigerten Konsum etwa von Nikotin und Alkohol, ebenso wie die Tendenz zur Hinwendung zu einer faschistischen Katastrophenpolitik, wiesen laut Forschungen darauf hin, dass eine Art Todestrieb Menschen unterschwellig beherrscht, denen die Fähigkeit ausgetrieben werden kann, durch Liebesfähigkeit lebendig zu sein.

Heute werden sogar junge Menschen immer früher an das sog. biografische Bewältigungsmodell der Erwachsenen herangeführt, welches sie übernehmen sollen, anstatt das narzisstische Selbst mit den gesellschaftlichen Anforderungen kollidieren zu lassen und diese kritisch zu betrachten. Kennzeichnend sei in diesem Zusammenhang, dass die Konkurrenz- und Verdrängungsszenerie der Arbeitsgesellschaft immer früher einsetzt und daher spricht man in der Jugendforschung von einem sog. Ernstraum. Oft entsteht bei jungen Menschen so eine Überforderung und sie greifen im schlimmsten Fall zu extremen Bewältigungsmitteln: Sucht, Gewalt und Autoaggression. Meist versuchen Eltern über eine narzisstische Projektion das eigene Kind mit Merkmalen oder Tendenzen zu belegen, die in Wirklichkeit aber aus ihren eigenen Konflikten her entstammen. Eltern verwechseln ihr Kind so nicht mit einem Partner, sondern mit sich selbst.

Kinder werden so als eine Art Projektionsfläche für die eigenen unbewältigten Konfliktlagen direkt "herangezogen". Solch frühzeitig geformte Charaktere sind später als ausgewachsene Narzissten meist betroffen von einem: unrealistischen Selbstbild, sie sind extrem arrogant und raumfordernd, enorm egoistisch und wahnsinnig empfindlich gegenüber jeder Form von Kritik. Darüber hinaus fehlt es ihnen an Empathie. Angemerkt werden könnte kurz an dieser Stelle: Unter politischen Führern ist ein hochgradiger Narzissmus sehr häufig anzutreffen. In der heutigen westlichen Gesellschaft besteht laut Psychoanalytikern ein Zusammenhang zwischen dem Narzissmus der Berühmtheiten und den Bedürfnissen des Publikums. Letzteres wolle oft mit berühmten Leuten deshalb in enge Berührung kommen, weil das Leben des Durchschnittsmenschen so leer und langweilig sei. Die Massenmedien leben davon, dass sie den künstlich inszenierten Ruhm verkaufen.

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