Verkühlte Stimmung zwischen Deutschland und Russland?


(C) Dion Hinchcliffe, 2012, Bild: flickr (CC BY-SA 2.0)

Nachdem der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich seinen persönlichen Besuch bei den russischen Winterspielen 2014 in Sotschi abgesagt hatte, führte dies teils zu heftige Kritik - einige sprachen gar von einer "bedrohlichen" Zuspitzung der Lage. Am kritischsten fielen die Töne bisher speziell vom sogenannten Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft aus, deren Geschäftsführer Prof. Dr. Rainer Lindner ist. Als deutlich politisches Zeichen wertete Manfred von Richthofen den Schritt Gaucks. "Ich ziehe meinen Hut vor der Entscheidung", merkte der Ehrenpräsident des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) im Deutschlandfunk an.

In den Streitigkeiten über den weiteren Kurs der Ukraine warfen sich zuletzt die EU und Russland gegenseitige Einmischung vor - einige Kommentatoren nannten die forcierten Proteste in Kiew aber auch ein Kräftemessen zwischen Washington und Moskau. Sarkastisch fügte man in einer schweizerischen Publikation an, dass pünktlich zum Winteranfang wohl die europäisch-russischen Beziehungen frostiger werden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach wegen der Ukraine-Spannungen von einem Rückfall in ein Denken wie zu den Zeiten des Kalten Krieges, was die russische Einflussnahme auf die ehemalige Sowjetrepublik anbelangt.

In den ersten drei Quartalen 2013 war der bilaterale Handel mit Russland laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Deutschland) bereits um 3,6 Prozent auf 57,9 Milliarden Euro zurückgegangen. Verschiedene Beobachter sahen, dass Russland aus deutscher Sicht längst den Status des "Boomlandes" verloren haben könnte. Eher russlandfreundliche Kreise aus der deutschen Politik und Wirtschaft hegen auf der anderen Seite aber deutlich optimistischere Prognosen für die deutsch-russischen Beziehungen.

Von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Berlin meinte die Russland-Expertin Margarete Klein laut Medienberichten, es drohe keine neue "Eiszeit" wie ebenso wenig kein neuer "Kalter Krieg", denn heute gäbe es keinen Systemgegensatz wie vor 1989. Vielmehr seien die gegenseitigen Interessen an wirtschaftlichen Beziehungen gut. Auch der deutsche Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V. (BGA) zeigte sich optimistisch für die Zukunft.

Der BGA-Präsident Anton F. Börner, welcher unter anderem auch im Außenwirtschaftsbeirat des Bundesministeriums für Wirtschaft aktiv ist, gab kürzlich wegen der Sotschi-/ bzw. Ukraine-Spannungen zu verstehen, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland keinen Schaden nehmen wird, er sei sich ganz sicher. Durch den oben kurz angeführten Ostausschuss der deutschen Wirtschaft wolle man die Beziehungen sogar weiter ausbauen. Dazu könne man sich vorstellen, dass die deutsche Bundesregierung einen Beauftragten zur sogenannten Modernisierungspartnerschaft ernennt, wie kürzlich der Geschäftsführer des Ostausschusses, Rainer Lindner, laut der Nachrichtenagentur Reuters anmerkte.

Der in Deutschland ausgehandelte Koalitionsvertrag von Union (CDU/CSU) und der Partei SPD beschreibt dabei ausführlich auch eine Notwendigkeit der "engen Partnerschaft mit Moskau". "Der Vertrag zeigt eine ziemlich rationale Kontinuität", gab der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler zu verstehen, der auch Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums, der Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Vorsitzender der West-Ost Gesellschaft Südbaden e. V. ist und zudem im Vorstand der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft sitzt.

Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Lindner, merkte im Zusammenhang des Koalitionsvertrages an: "Generell deutet der Koalitionsvertrag auf eine aktivere Russland-Politik der neuen Bundesregierung hin". Zu Gaucks Absage (Sotschi 2014) meinte Lindner gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass die Absage "weder als Boykott noch als Absage des Bundespräsidenten an Russland insgesamt" verstanden worden sei. Aus Kreisen des Bundeskanzleramts will man der Publikation zufolge angeblich erfahren haben, dass dort Personen der Meinung wären, dass Gauck eine Polarisierung in den deutsch-russischen Beziehungen "fördere".

Im August laufenden Jahres war das sogenannte "Russland-Deutschland-Jahr" beendet worden und russische Medien titelten, dass die "deutsche Wirtschaft" den bisher durch Angela Merkel gefahrenen Kurs kritisieren würde - wie die Publikation "Ria Nowosti" damals berichtete. In Bezug auf die gefahrene Russland-Politik wären die deutschen Politiker in zwei Lager geteilt, schrieb "Nesawissimaja Gaseta". Der einflussreiche Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft forderte die Bundesregierung auf, eine neue "Russland-Strategie" zu fahren.

Dazu kann zitiert werden: "Die deutsche Wirtschaft würde eine Russland-Strategie der Bundesregierung begrüßen, die zu einer engeren Anbindung Russlands und des russischen Marktes an die EU beiträgt". Ähnlicher Meinung war in der Vergangenheit unter anderem auch Johannes Teyssen (Vorstandsvorsitzender der E.ON AG in Düsseldorf), der stellvertretende Vorsitzende im Ostausschuss. "Die deutsche Wirtschaft würde eine Russland-Strategie der Bundesregierung begrüßen, die zu einer engeren Anbindung Russlands und des russischen Marktes an die EU beiträgt", sagte wortgleich bereits im Sommer der Chef (Vorsitzender) des Ausschusses, Eckhard Cordes (Vizepräsident des Wirtschaftsrats der CDU).

Allgemeine Erklärungen zu Begriffen im Text:

Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft: Dieser wurde im Jahr 1952 gegründet und hat seinen Sitz in der deutschen Bundeshauptstadt Berlin. Der Ausschuss fungiert als Gemeinschaftsorgan der deutschen Wirtschaft zur Interessenvertretung - und zur Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen - von Unternehmen in Osteuropa (auch Russland, Ukraine). Mit der italienischen Holding von Finanzdienstleistungs-Unternehmen Unicredit und dem Land Berlin veranstaltet man jährlich das sogenannte "east forum Berlin", wo auch der deutsche FDP-Politiker Günter Verheugen (ebenfalls: Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Kommissar zuständig für Unternehmen und Industrie) und der CSU-Politiker Theo Waigel (ehemals Bundesminister der Finanzen) aktiv sind/waren. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft wird gemeinschaftlich von verschiedenen Organisationen unterhalten. Zum einen durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (Präsident: Ulrich Grillo), vom Bundesverband deutscher Banken (Präsident: Jürgen Fitschen; Deutsche Bank AG), vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (Präsident: Alexander Erdland) oder auch der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels. Seit Dezember des Jahres 2010 hat Eckhard Cordes den Posten des Vorstandsvorsitzenden von Klaus Mangold (unter anderem: Co-Chairman der deutschen Dependance der Investmentbank Rothschild) übernommen, der dem Vorstand des Ost-Ausschusses seit 2000 vorsaß. Bis zu seinem Tod im Jahr 2007 war auch Otto Wolff von Amerongen (wurde als sog. "heimlicher Osthandelsminister" bezeichnet) Vorstandsmitglied.

Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): Diese Stiftung, welche rückblickend 1962 in München gegründet worden war (heute: Berlin), wird durch deutsche Bundesmittel gefördert und bekommt aus dem Etat des Bundeskanzleramts (Oberste Bundesbehörde) den wesentlichen Teil ihrer Fördergelder. Man berät die Bundesregierung von Deutschland speziell auch in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Man forscht unter anderem in Belangen "Europäische Integration" (immer engere Zusammenschluss der europäischen Völker) oder auch in Themen zu Russland/GUS. Der Präsident des Stiftungsrats ist Hans-Peter Keitel. Erster Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik war Christoph Bertram, der rückblickend auch Mitglied des Steering Committees der Bilderberg-Konferenz war. Als umstritten gilt unter anderem, als im Rahmen eines Geheimprojekts unter dem Namen "Day After" (Der Tag danach) seit Januar des Jahres 2012 bis zu 50 Repräsentanten der syrischen Opposition auf die Regierungsbildung nach dem Sturz der Regierung unter Baschar al-Assad vorbereitet wurden. Das Projekt "Day After" wurde außer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auch vom regierungsnahen United States Institute of Peace (USIP) mit organisiert. Beim SWP sind in Belangen "Beratung" auch Offiziere der Bundeswehr aktiv. Andere Themengebiete der Stiftung sind weiterhin die EU-Außenbeziehungen (GASP), Westlicher Balkan oder Sicherheitspolitik allgemein.

Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen: Der als Dachverband aufgestellte deutsche Bundesverband des Großhandels, des Außenhandels, und der Dienstleistungen e. V. (BGA) hat seinen Sitz ebenfalls regierungsnah in der deutschen Bundeshauptstadt Berlin. Der Verband vertritt besonders die Interessen des deutschen Groß- und Außenhandels und des Bereichs Dienstleistungen. Wie oben bereits kurz angeführt, ist seit 2000 der aktuelle Präsident Anton F. Börner, der sich für den freien Welthandel einsetzt und bspw. auch im Verwaltungsrat der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) als Vertreter des Handels aktiv ist. Vor Börner war Michael Fuchs (CDU) Präsident des BGA - welcher heute Ehrenpräsident ist und auch Vorstandsmitglied des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und im sog. Executive Committee der im Jahr 1973 von David Rockefeller (bei einer Bilderberg-Konferenz) gegründeten Trilateralen Kommission beschäftigt ist. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen ist ebenfalls Mitglied des EuroCommerce, dem EU-weiten Handelsverband mit Sitz in Brüssel (Belgien). Als wichtige Position des BGA zählt der freie Welthandel. Der BGA vertritt als Dachverband von Deutschland um die 120.000 Unternehmen und ist Mitglied in über 100 Organisationen der deutschen Wirtschaft.

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