Griechenland: Kinder werden zum Luxusgut


(C) Victor Radziun, 2008, Bild: flickr (nicht portiert) (CC BY-NC-SA 2.0)

Im EU-Krisengebiet Griechenland sind "DrRadio" (Deutschlandradio) zufolge zwar die Arbeitslosigkeit und die Schulden angestiegen, doch die Geburtenrate sei durch die forcierten äußeren Druckzustände weiter gesunken - demnach aktuell auf 100.000 Kinder pro Jahr. Als schuldiger gesellschaftspsychologisch einwirkender Faktor wird hier der "Sparkurs" angeführt. Es wurden finanzielle Hilfestellungen an Eltern gekürzt oder gestrichen, auch für kinderreiche Familien.

Wegen der hohen Arbeitslosigkeit müssen sich ggf. kinderwillige Individuen entscheiden, ob sie ein Kind "anschaffen" möchten und diese "Anschaffung" später auch finanzieren können. Jene Personen, die Arbeit haben, hegen recht oft kein Interesse an eigenen Kindern und damit verbundene "Stressfaktoren". Eigene Kinder verkommen zu einer Art Luxusgut für viele Menschen, da die finanziellen Aspekte die menschlichen überlagern. Oft gesellen sich noch narzisstische Persönlichkeitsmerkmale hinzu.

Jene, die sich Kinder locker leisten könnten, liebäugeln eher mit passenden Adoptionen und unkomplizierten Vorgehensweisen (kein Blut, Geschrei im tieferen Kindesalter etc.) oder bauen sich gleich die noch einfacher zu handhabenden Wunschkinder per mobile-App zusammen (diese können wenigstens bei Bedarf auch ausgeschaltet werden). Stratos Farakos, ein griechischer Arbeiter der mit seiner Frau seit drei Jahren verheiratet ist, wird zitiert: "Wir verdienen immer weniger und der griechische Staat behandelt seit der jüngsten Steuerreform Kinder wie ein Luxusgut".

In Griechenland gehe der staatliche Überbau davon aus, dass wenn man Kinder hat, man auch genügend Gelder haben muss und entsprechend verdient, damit man sich einen solchen "Luxus" überhaupt leisten kann. Die Steuerlast wäre bei Familien mit Kindern höher, als bei kinderlosen Paaren. Selbst kinderreiche Familien haben fast keine steuerlichen Vorteile mehr, berichtet Farakos. Dies sind Faktoren, die uns (Paar Farakos) in der Entscheidung beeinflussen, ein Kind zu bekommen.

Das Problem sei nicht unbedingt die aktuelle Situation der beiden, denn jeder von ihnen hätte Arbeit. Diese "Jobs" sind jedoch wohl eher zeitintensiv und sie bekämen auch nicht übermäßig Gelder aus ihrer Arbeit. Antigoni, die Ehefrau, arbeite bei einer Bank (wohl eher unterrangig und nicht z.B. im Derivatehandel aktiv) und der Ehemann Stratos sei Lehrer für Mathe bei einem Nachhilfeinstitut. Zusammen bekommen sie eigenen Darstellungen zufolge nicht mehr als 1500 Euro im Monat. Auch ohne Kinder wird es Stratos zufolge "oft knapp" am Ende des Monats. Freunde des Paars werden angeführt, wonach diese, welche bereits ein Kind haben, sich die Frage stellen würden: "Was jetzt?".

Auch hätten drei von vier befreundeten Paaren der Farakos gemeint, man wolle kein zweites Kind. Alles werde von Jahr zu Jahr schlimmer, statt besser. Freundinnen von Antigoni (Ehefrau) und sie selbst hegen demnach auch Befürchtungen, sie könnten nach der Geburt den Arbeitsplatz verlieren. Es käme recht oft vor, so Antigonis Erfahrungen dazu, dass der Arbeitgeber junge Mütter entlässt.

Weiterhin kommt ein Geburts-Klinik-Leiter (aus Athen) zu Wort. Laut diesem, Giorgos Kreatsas, kommen in der Klinik rund 2000 Kinder zur Welt. Doch wie in allen griechischen Kliniken sei die Geburtenrate weiter rückläufig. Der Geburtenrückgang sei dem Medizinprofessor Kreatsas zufolge "viel höher als in anderen Ländern". Er führte die Krise in Griechenland als hauptsächliche Ursache dafür an. Die Geburtenrate sei zuletzt auf 1,1 Kinder pro Frau gesunken. Zudem führte der Medizinprofessor an, dass nicht nur die weiter gesunkene Geburtenrate problematisch sei, sondern auch, dass immer mehr junge Menschen Griechenland verlassen, um so im Ausland Arbeit zu bekommen.

Darüber hinaus wurden zuletzt auch immer mehr Fehlgeburten registriert. Laut dem Leiter der Geburtsklinik der Universität Athen, Giorgos Kreatsas, gehe aus vorliegenden Daten deutlich hervor, dass seit vergangenem Jahr drei Mal so viele Fehlgeburten registriert wurden, als im Vorjahr 2011. Zudem schwoll anderen Berichten zufolge die Zahl der Abtreibungen weiter an, da diese Möglichkeit wohl als günstiger angesehen wird, als später ein Kind zu bekommen. Zukunftsängste, Stress und weitere Einflussfaktoren führen immer häufiger dazu, dass Schwangere nur unregelmäßig zu ärztlichen Untersuchungen gehen und sich ausreichend um ihre Schwangerschaft kümmern.

Im Sommer laufenden Jahres hatten Forscher eine Studie (Impact of 2008 global economic crisis on suicide: time trend study in 54 countries) veröffentlicht, wonach die Geburtenrate speziell auch in Krisenländern wie Spanien oder Griechenland sank. Auf der anderen Seite wären aber auch Selbstmordraten und Totgeburten weiter angestiegen. Diesen Untersuchungen zufolge sah man einen Zusammenhang mit unter anderem der gestiegenen Arbeitslosigkeit und damit verknüpft Existenzängste. Auf jeden unternommenen Selbstmord kamen in den untersuchten Ländern 40 versuchte Selbstmorde.

In europäischen Gefilden war die Selbstmordrate speziell bei jüngeren Männern weiter angestiegen. In Griechenland war dieser Studie zufolge, laut Christina Papanikolaou vom griechischen Gesundheitsministerium, die Geburtsrate in den letzten vier Jahren um gut zehn Prozent zurückgegangen. Sie bezeichnete die gesunkene Geburtenrate von Griechenland als Spiegelbild für den Einbruch des BIP (Bruttoinlandsprodukt) um damals rund 25 Prozent.

Die von der sogenannten Troika (EU, EZB, IWF) auferlegten Sparmaßnahmen und die "marktorientierte Reformierung" des griechischen Gesundheitssystems hatten im Verlauf auch zur Verschlechterung der medizinischen Versorgung geführt. Schwangere würden in verschiedenen Fällen laut Christina Papanikolaou auch nicht mehr unterstützt und untersucht, wenn sie es nicht selbst aus eigener Tasche bezahlen können. Das Institut für Demographie in Wien (Österreich) warnte zum Jahresanfang (2013) vor der Gefahr für die Erneuerung der Generationen in Griechenland, Spanien oder Portugal.

  
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