Schulz: Europa Kontinent der Einwanderer und Flüchtlinge


(C) PES, 2013, Bild: flickr (nicht portiert) (CC BY-NC-SA 2.0)

Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz (SPD), Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, forderte nun angesichts wegen jüngster Flüchtlingsirritationen einen deutlichen Kurswechsel in der europäischen Einwanderungspolitik. Vor der vollzogenen Zustimmung für Eurosur und der für Oktober geplanten breiten Debatte um die EU-Flüchtlingspolitik waren Medienberichten zufolge 360 flüchtige Personen vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ums Leben gekommen, welche wohl hauptsächlich aus Nordafrika kamen. Südlich von Malta und der Insel Lampedusa war danach ein vor allem mit Syrern besetztes Flüchtlingsboot gekentert, hier gab es rund 40 Tote.

Das angeführte Eurosur ist ein Überwachungssystem der EU, bei dem auch Drohnen, Aufklärungsgeräte, Offshore-Sensoren und Satellitensuchsysteme eingesetzt werden sollen. Das EU-Parlament hatte dem System, wie angemerkt, am 10. Oktober 2013 grünes Licht gegeben. Das Programm wird von unterschiedlichen Seiten kritisiert. Offiziell sollen bis 2020 rund 244 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für die Installation und den Betrieb des Systems bereitgestellt werden. Eurosur soll voraussichtlich wie geplant ab Dezember 2013 einsatzbereit sein. Die schwedische EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström begrüßte das Votum des EU-Parlaments zur Errichtung von Eurosur.

Schulz zufolge müsse man endlich anerkennen, dass Europa ein Kontinent der Einwanderer ist. Daher brauche man nun auch "dringend eine Reform unserer Einwanderungsgesetze". Dem Spiegel (Magazin) sagte Schulz weiter, dass die EU nun ein sogenanntes "legales Einwanderungssystem" benötigt. Ein solches hätten auch andere "große Einwanderungsregionen" der Welt, wie die USA, Kanada und Australien. Zudem brachte er einen Verteilungsschlüssel für in die EU geflüchtete Personen ins Spiel. Wenn man mit Blick auf Lampedusa dortige 10.000 Menschen unter 507 Millionen Europäern in 28 Mitgliedstaaten verteilen würde, wäre das laut Schulz durchaus "machbar".

Italien oder Malta dürfe man nicht alleine lassen, es sei vielmehr eine europäische Aufgabe. Den deutschen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kritisierte er im Spiegel. Schulz: "Wir können es uns leisten - finanziell und was die Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen angeht". Friedrich habe sich Schulz´s-Meinung nach auf billige Polemik und Zahlenspiele zurückgezogen. Der deutsche Bundesinnenminister sah keinen Grund für eine Änderung der Einwanderungspolitik in der EU.

Maltas Regierungschef Muscat war unterdessen in Libyen mit dem dortigen Regierungschef Ali Seidan zusammengetroffen. Seidan kündigte ein entschlossenes Vorgehen gegen illegale Einwanderer an. Von der EU wolle man aber Ausrüstung und Schulungen und sogar den Zugang zu europäischer Satellitentechnik haben, was laut Seidan eine "große Hilfe" wäre, damit die libyschen See- und Landgrenzen besser überwacht werden könnten.

Im Verlauf der vergangenen Jahre gab es zahlreiche Irritationen und Tote mit Flüchtlingen aus arabischen Ländern und Nordafrika. Nach den angeschobenen Umwälzungsprozessen in Libyen und Co. kamen auch Leute, die zuvor einen festen Job in ihrem Land hatten. Im politischen Spektrum gab es unterschiedlichste, teils extrem radikale Forderungen. In 2009 verlangte bspw. der rechte britische Europa-Abgeordnete Nick Griffin, man soll am besten die Boote mit afrikanischen Flüchtlingen versenken. Nur klare und drastische Maßnahmen könnten die EU davor bewahren, "von der Dritten Welt überschwemmt" zu werden, hieß es damals durch Griffin auf dem Rundfunksender BBC. Zitat: "Ganz ehrlich, sie müssen eine ganze Reihe dieser Boote versenken".

Anhang:

Noch im September 2013 forderte der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres (1999-2005; Präsident der Sozialistischen Internationale) die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, auch unbegrenzt syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das deutsche Engagement lobte er jedoch - mit Blick auf das Aufnahmeprogramm für 5000 Syrer. Deutschland hatte seit Beginn des angeschobenen Krieges im März 2011 etwa 15.500 syrische Asylbewerber aufgenommen. In Europa hatten bis September seit 2011 etwa 45.000 syrische Staatsbürger Asylanträge gestellt, die meisten gingen nach Deutschland und Schweden.

Anfang August gab es Irritationen mit Blick auf Malta. Die Insel wollte demnach trotz EU-Aufforderungen keine Flüchtlinge aufnehmen. Brüssel forderte Medienberichten zufolge in diesem Fall die Aufnahme von rund hundert Flüchtlingen. An Bord befanden sich auch Schwangere und kleine Kinder. Jene flüchtigen Personen waren im Vorfeld von einem unter liberianischer Flagge fahrenden Tanker aus einem schwer beschädigten Schlauchboot gerettet worden. Das Innenministerium von Valletta (Hauptstadt der Republik Malta) teilte damals mit, das Tankschiff sei von der italienischen Küstenwache angewiesen worden, einen libyschen Hafen anzulaufen. Die schwedische Politikerin und EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström forderte Malta auf, dieses solle die Flüchtlinge aufnehmen.

Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning (FDP), forderte im Juli laufenden Jahres eine Aufnahme von Flüchtlingen durch alle EU-Staaten. Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen ARD "Report-Mainz" sagte er: "Ich glaube, dass bei den Flüchtlingen wir nicht alleine auf die Ankunftsländer setzen können". Nach EU-Recht wären bisher die Einreiseländer für die Versorgung von Asylbewerbern und die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig. In der Sendung "Report Mainz" hatte man auch über Gewalt von Beamten einer Küstenwache gegen Bootsflüchtlinge berichtet, hier mit Blick auf Griechenland. Beamte traten demnach mit Stiefeln auf die Flüchtlinge ein, um sie daran zu hindern an Bord des Schiffes der Küstenwache zu gelangen. Das Boot der Flüchtlinge brannte.

Im Sommer forderte der Jesuit und Papst Franziskus (Jorge Mario Bergoglio) mehr Offenheit für Flüchtlinge. Er besuchte im Juli die italienische Flüchtlingsinsel Lampedusa. Im Vorfeld waren auf der Überfahrt von Afrika dorthin zahlreiche Personen ums Leben gekommen. Der Vatikan-Führer prangerte auf einer abgehaltenen Messe vor rund 10.000 Personen die "Gleichgültigkeit" der Welt angesichts des Todes hunderter Flüchtlinge im Mittelmeer an. Man sehe eine "Globalisierung der Gleichgültigkeit". Das Gefühl der "brüderlichen Verantwortlichkeit" sei verloren gegangen. Angeführten offiziellen Schätzungen zufolge kommen jedes Jahr rund 1500 Flüchtlinge im Mittelmeer ums Leben. Nur kurz vor der Landung des Papstes Franziskus auf dem Flugplatz der Insel traf auf Lampedusa erneut ein Boot mit 166 Flüchtlingen ein.

Im Juni laufenden Jahres verkündete man, dass nach jahrelangen Verhandlungen nun endlich das "gemeinsame EU-Asylrecht" unter Dach und Fach sei. Durch das EU-Parlament verabschiedete man ein entsprechendes Gesetzespaket, womit bei Asylverfahren in der Europäischen Union für mehr Gerechtigkeit gesorgt werden soll, hieß es Medienberichten zufolge. Demnach sollen Anträge auch nach EU-"einheitlichen Standards" geprüft und der Schutz der Asylbewerber soll verbessert werden. Dazu wurden auch verbindliche Asylgründe und Mindeststandards für die Aufnahme der Bewerber vorgeschrieben. Asylverfahren sollen binnen sechs Monate abgeschlossen werden - bei komplizierten Fällen gilt eine Frist von 18 Monaten. Auch Einspruchsrechte werden verbessert. Asylbewerber in der EU sollen grundsätzlich nach neun Monaten eine Arbeitserlaubnis erhalten. Asylsuchende dürfen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in Gewahrsam genommen werden. Die neuen Vorschriften müssen von den EU-Staaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden.

Durch die in London angesiedelte Organisation Amnesty International (AI) prangerte man zuletzt im Mai 2013 die EU-Asylpolitik an. Hier führte man gleichermaßen autoritäre Staaten in Bezug auf die EU mit an. In einem Bericht zur Thematik gab man durch AI zu verstehen, dass die EU-Länder mehr Interesse am Schutz der eigenen Grenzen hätten, als am "Schicksal hilfsbedürftiger Flüchtlinge". Die EU sei mitverantwortlich für den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer. Auch wegen der deutschen diktierten "Sparpolitik in Europa werden Vertriebene und Asylsuchende [...] immer öfter zu Sündenböcken gemacht", hieß es durch den indischen AI-Generalsekretär und Sohn einer in der Frauenrechtsbewegung tätigen Anwältin, Salil Shetty.

Im Verlauf der vergangenen Jahre hatte die Amnesty International öfters das Verhalten des deutschen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) angegriffen. Im April 2011 kritisierte man diesen u.a. in der Frage der Flüchtlinge aus Nordafrika. Die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Monika Lüke, gab damals der Saarbrücker Zeitung zur Thematik zu verstehen: "Einfach die Grenzen dicht machen zu wollen, ist ein riesiger Rückschritt und auch keine Lösung". Die Bundesrepublik Deutschland dürfe sich der Bewältigung des Flüchtlingsproblems nicht einfach entziehen, forderte sie. Auch der SPD-Chef Sigmar Gabriel übte Kritik. Es sei demnach ein "seltsames Verständnis von europäischer Partnerschaft", wenn die Italiener mit den aus Nordafrika Geflüchteten allein gelassen würden, sagte der SPD-Mann damals (April 2011) im Deutschlandfunk.

Im Vorfeld hatte die EU-Kommission durch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ein einheitliches Asylsystem in der Europäischen Union gefordert. Der Tagesspiegel berichtete, in der Zitierung durch Malmström: "Alle Bausteine für ein gemeinsames europäisches Asylsystem liegen auf dem Tisch". Die EU-Kommissarin forderte beschleunigte Handlungen. Einige EU-Staaten verweigerten ihren Worten zufolge Italien direkte Hilfe bei der Versorgung tausender Flüchtlinge aus Nordafrika. Die EU-Innenminister einigten sich damals im April 2011 nicht auf eine gemeinsame Unterstützungsaktion, was die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström kritisierte. Italiens Innenminister Roberto Maroni zeigte sich damals enttäuscht: Er frage sich, ob es noch Sinn habe, Mitglied der Europäischen Union zu sein.

Im Sommer 2011, wie davor und nachfolgend, gab es gleichwohl erneut Irritationen mit Flüchtigen vor Lampedusa. Die italienische Agentur ANSA berichtete damals, Italien verlange Aufklärung von der NATO (Militärbündnis). Diese hätte ANSA zufolge mehr als 370 Schiffbrüchigen bei einer tagelangen Überfahrt von Libyen nach Europa die Hilfe verweigert. Den Patrouillenschiffen der NATO, welche damals im Mittelmeer ein Embargo gegen Libyen überwachten, war im Vorfeld schon mehrfach Versagen in der Flüchtlingskrise vorgeworfen worden. Die italienische Regierung forderte eine Untersuchung des Vorfalls. Zugleich appellierte Rom an die NATO, ihr Mandat in Libyen auszuweiten.

Anfang 2011 hatte die EU durch die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) eine Mission vorbereitet. Durch die EU-Kommission erklärte man im Februar damals, man habe die EU-Mitgliedsstaaten um Personal und Ausrüstung für einen Einsatz gebeten. Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström appellierte an die EU-Mitglieder, Frontex zusätzliche Hilfen zur Verfügung zu stellen. Frontex verfügt über keine eigenen Kräfte, sondern muss Personal und Ausrüstung bei den EU-Mitgliedstaaten anfragen. Der Finne Ilkka Laitinen ist seit 2005 Chef der Agentur. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kritisieren Frontex in Zusammenhang mit militärischen Flüchtlings-Abwehrmaßnahmen in der Mittelmeer-Region. In 2009 wurden afrikanische Regierungen aufgefordert, sie müssten nach dem Willen der EU-Kommission "im Kampf gegen die illegale Einwanderung" mehr tun.

Der damalige französische Politiker und ehemalige EU-Kommissar für Justiz sowie Vizepräsident der EU-Kommission, Jacques Barrot, forderte ein hartes Vorgehen gegen sog. "Schleuserzentren", dem organisierten Verbrechen und "Prostitution" - alles Themen, welche eng miteinander verbunden wären, sagte Barrot damals speziell auch mit Blick auf nordafrikanische Staaten wie Tunesien und Algerien. Er kündigte gleichwohl an, die EU werde ihre Grenzschutztruppe Frontex nahe der nordafrikanischen Küsten patrouillieren lassen, dem sich damals aber Libyen widersetzt hätte. Barrot kündigte damals bei einem Besuch auf Lampedusa "eine Aufnahme von besserer Qualität" für Flüchtlinge an.

  
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